15. September 2012

Erwin Pelzig

Ein perfekter Gastgräber

Erwin Pelzig wie man ihn kennt und schätzt: "Er ist ein ewig rührend Suchender... 

 

Obacht, Franke! Als bauernschlaue Kunstfigur Erwin Pelzig befragt der Satiriker und Talkmaster Frank-Markus Barwasser regelmäßig Prominente - und lässt sie ziemlich alt aussehen. Jetzt kommt der Mann mit dem Cordhütchen ins ZDF und dürfte dort für neue Humor-Höhepunkte sorgen.

Bei der ersten Begegnung neigt man zur abwehrenden Geste. Dieser fränkische Kauz - zerknittertes Cordhütchen, Herrentäschchen am Handgelenk, Trachtenjanker - kommt unfassbar gestrig daher. Schon im Jahr 1993, als die Kunstfigur Erwin Pelzig erstmals vor ein Saalpublikum trat, muss sie alles andere als frisch gewirkt haben.
Genau darin aber liegt die Finesse desjenigen, der sich hinter dem vermeintlichen Simpel versteckt: Frank-Markus Barwasser ist studierter Politikwissenschaftler, Historiker, Ethnologe. Ehemals Journalist, heute Breitbandhumorist mit Theater-, Film- und Fernsehmeriten und seit Oktober 2010 neben Urban Priol der zweite Mann beim ZDF-Kabarett "Neues aus der Anstalt". Barwassers Alter Ego Erwin Pelzig war ursprünglich ein Geschöpf des Hörfunks. Im geistigen Austausch mit den ebenfalls von Barwasser gesprochenen Kumpanen "Hartmut" und "Dr. Göbel" versuchte sich Pelzig auf Bayern 3 wöchentlich an einer zünftigen Einordnung des aktuellen Weltgeschehens. Ab 1998 verschärfte "Pelzig" seine Anstrengungen in diese Richtung und drang ins Fernsehen vor.
Seine Reihe "Aufgemerkt! Pelzig unterhält sich" war der Form nach eine Late-Night-Show, aber mit schwer regionalem Einschlag, was den Erfolg nicht verhinderte. Ab 2007 gelangte die Sendung gar gelegentlich ins Spätprogramm des Ersten. Ein naher Verwandter dieser Show wird ab dem 15. Februar im ZDF zu sehen sein. Ihr sinniger Titel: "Pelzig hält sich".
Am Anfang jeder Ausgabe wendet sich der Gastgeber mit einem satirischen Tageskommentar an das Publikum. In diesem Punkt sind sich das klassische Politkabarett und die US-amerikanische Late-Night-Show, deren Ursprünge ohnehin in der Bühnenkunst liegt, immer schon nahe gewesen. "Erwin Pelzigs" kabarettistische Soli werden den Freunden dieses Genres schmecken, aber sie heben die Sendereihe noch nicht sonderlich heraus.

Jankerträger trifft Aggro-Rapper
Interessant wird es, wenn Pelzig seine jeweiligen Gäste hereinbittet. Zumeist handelt es sich um Vertreter des öffentlichen Lebens; das Spektrum reichte bislang vom bayerischen Ministerpräsidenten über einen katholischen Erzbischof bis zum Berliner Aggro-Rapper. Vor einer imitierten Klinkerwand bekommen die Gesprächspartner zunächst Bowle kredenzt, je nach Saison giftgrün, kanariengelb oder fußmattenbraun gefärbt und offenbar ein kulinarisches Erweckungserlebnis, wenn man den Reaktionen der restlos Bedienten glauben darf.
Die nachfolgenden Gespräche machen den eigentlichen Reiz der Darbietung aus. Im Kostüm des Erwin Pelzig pflegt Frank-Markus Barwasser einen eigenwilligen Fragegestus, in dem aufrichtige Wissbegierde, kritische Haltung und bauernschlaues Schelmentum zusammentreffen. Wehe demjenigen, der diesen Sonderling unterschätzt; manch Prominenter gab schon unversehens mehr von sich preis, als er eigentlich wollte.
Wenn Erwin Pelzig, der "fränkische Konsonantenschänder" (Urban Priol), zu sprechen anhebt, dann häufig mit gespannten Stimmbändern, voller Nachdruck, bisweilen hart an der Grenze zum Diskant. Ganz anders Frank-Markus Barwasser. Sanft und leise, aber fest erklärt er seinen fränkischen Eulenspiegel namens Pelzig: "Er ist ein ewig rührend Suchender nach Antworten auf Fragen, die er sich sicherlich aus einer gewissen Einsamkeit heraus dauernd stellt."
Natürlich ist Pelzigs äußere Erscheinung darauf angelegt, dass man ihm die tiefschürfenden Gedanken nicht zutraut, die ihm, in mitunter erstaunlichen Gesprächswendungen, plötzlich wie selbstverständlich über die Lippen kommen. "Unberechenbar" solle diese Figur sein, so Barwasser, und das werde sie auch bleiben, selbst wenn sie mittlerweile einen höheren Bekanntheitsgrad besitzt als in der Anfangszeit im Regionalfernsehen.

"Reschpekt" für den neuen Sender
Als anderes kennzeichnendes Merkmal nennt Barwasser "Neugier": "Mir geht es schon sehr stark darum, tatsächlich etwas zu erfahren vom Gast. Das gelingt mal sehr gut, mal vielleicht auch nicht ganz so gut. Das ist halt das Risiko dieser Sendung. Die Gespräche sind ja nicht geplant. Das heißt, ich weiß schon, was ich will, aber ich bin immer offen für völlig andere Gesprächsverläufe. Und das sind meist die besseren Gespräche."
Barwasser betont, es liege nicht in seiner Absicht, seine Gäste vorzuführen, gleichsam aus Geladenen Verladene zu machen. Wer seine Sendung nicht kennt, bekommt vorab eine DVD zur Ansicht - "wer dann aber zusagt, der ist bereit, sich auf so ein ungewöhnliches Format einzulassen, also mit einer Kunstfigur zu sprechen."
Der Wechsel dieses Gesprächsformats zum ZDF verdankt sich dem Umstand, dass die ARD ihre Stars nicht gern mit anderen Sendern teilt. Hie und da gibt es Sonderkonditionen, siehe Günther Jauch und Dieter Nuhr, aber für Frank-Markus Barwasser galt ein kategorisches Entweder-Oder.
Nachdem das ZDF ihm die Mitarbeit in der Kabarettsendung "Neues aus der Anstalt" angetragen hatte, musste Barwasser sich entscheiden. Gezögert hatte er ohnehin, weil er die Nachfolge des ausgeschiedenen Kollegen Georg Schramm als schweres Erbe auffasste. Barwasser sah seine einzige Chance darin, "absolut meine eigene Sache zu machen, meinen eigenen Stil zu haben." Nach reiflicher Überlegung nahm er an: "Der Reiz der Aufgabe war dann größer als die Bedenken."
Erwin Pelzig musste mit, und das ZDF bot Barwasser an, auch sein Talk-Format zu übernehmen. "Es ist ein Senderwechsel, kein Formatwechsel", sagt Barwasser, kündigt aber doch kleinere Veränderungen an, über die er noch nicht reden möchte. Und unvermittelt ertönt der fränkische Singsang Erwin Pelzigs: "Jetzt ist ja erst mal die Räumlichkeit neu und die ganze Situation, und jetzt habe ich natürlich auch ganz schön Reschpekt."

Hoffnung für die politische Fernsehsatire?
Sieben Mal pro Jahr wird Erwin Pelzig seine Gesprächsrunde führen, zum Auftakt ausnahmsweise um 22.15 Uhr, regulär um 22.45 Uhr. Damit bietet das ZDF in seinem Hauptkanal nun ein vergleichsweise breites Angebot an satirischen Sendungen. Das klassische Bühnenkabarett findet sein Forum in "Neues aus der Anstalt". Die wöchentliche "heute show" hingegen arbeitet und spielt mit den Formen und Stilmitteln des Fernsehens und wirkt darin auf den ersten Blick sehr modern, nimmt aber eigentlich eine verschüttete Tradition wieder auf. Denn das ZDF hatte mit "Express" und "Notizen aus der Provinz" schon in früheren Jahrzehnten gelungene Beispiele für von der Bühne abgelöste, fernsehgerechte Satiresendungen.
Daneben wirkt der "Satire Gipfel" im Ersten, nach dem Abgang des grenzhysterischen Rampenberserkers Matthias Richling in geschwindigkeitsbegrenzter Manier von Dieter Nuhr moderiert, nurmehr wie eine Alibiveranstaltung. Zumal wenn man bedenkt, dass der politische Witz inzwischen sogar in Sendungen wie "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" Eingang gefunden hat, wo Sonja Zietlow und Dirk Bach in der fünften Staffel oft aktuell auf die Nachrichten des Tages reagierten und beispielsweise mehrfach, in Form eines Running Gags, Verteidigungsminister Guttenberg aufs Korn nahmen. Da dem Ersten demnächst auch Harald Schmidt abhanden kommt, hat das Hauptprogramm der ARD in dieser Programmsparte gegenüber dem ZDF bald das Nachsehen. Andererseits gibt es in den Regionalprogrammen einige bereits bewährte Talente, die in die Lücken hineinwachsen könnten. Jüngst wurden mit Pierre M. Krause (SWR) und Tobias Schlegl (NDR) gleich zwei Vertreter der (im weiteren Sinne) politischen Satire für einen Grimme-Preis nominiert.
Man könnte diesen Vorgang zusammen mit der vielversprechenden ZDF-Premiere des "Pelzig"-Formats im Zweiten als Signal verstehen. Mal abwarten, ob es Gehör findet.

2 Kommentare:

  1. Egal, ob Pelzig, d' Gruabare odder d' Blos'n. Klasse Blogg! Dess schraid noch mäahr!

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  2. vielen Dank, Nervenruh, für Deinen Eintrag

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